Literatur und Sachbuch
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»Libero« Michael Hackethal

Der Fehler

 

Die Welt hat einen Fehler, und dieser Fehler ist in meinem Kopf. Jeden Tag wird er ein wenig größer.
Ich habe schon als Kind gewusst, dass die Welt Fehler hat. Und die Erwachsenen? Mein Gott, die taten, als wüssten sie Bescheid, und hatten doch von nix ’ne Ahnung. Wie kann Gott vollkommen und allmächtig sein, hab ich mich gefragt, wenn der Teufel existiert und alles durcheinander bringt? Wie kann Gott zulassen, dass er die Menschen böse macht? Wieso hat Gott einen Plan und erschafft dann eine Kreatur, die ständig dagegen arbeitet? Das ergab überhaupt keinen Sinn für mich. Ich bin mit meiner Frage zum Pfarrer, der war schließlich Spezialist für Heiliges und Ewiges. Ich hätte es wissen müssen. Seine Antwort war so lang und verworren, dass ich gegangen bin, bevor er damit fertig war. Ich hab ihn nie wieder was gefragt.
Wer nicht in der Lage ist, eine klare Antwort zu geben, der hält besser die Klappe. Das wusste ich schon mit neun. Deshalb habe ich jahrelang selbst mein Maul gehalten. Kein Witz! Ich war in der Schule so gut wie stumm, hatte keine Freunde, hab zuhause im Zimmer gehockt und irgendwas gemacht, ganz still für mich. Meine Mutter hat mich oft gefragt, was mit mir los ist. Ich konnte es nicht sagen. Es war so kompliziert, dass es eh keiner verstanden hätte. Falls ich es überhaupt in Worte hätte fassen können. Also habe ich meine Fragen lieber bei mir behalten.
Irgendwann, dachte ich, kommt der richtige Moment, um sie zu stellen. Bei manchen Fragen war das tatsächlich so. Andere sind im Schweigen versunken.
Ich liebe Wörter. Vielleicht war ich deshalb so vorsichtig mit ihnen. Irgendwann habe ich sogar aufgehört, meinen Namen zu nennen. Ich wollte ihn auch von niemand anderem mehr hören.
So halte ich es bis heute, und ich fahre gut damit.

Gustav rief mich an, wie er das immer macht, kurz vor Mitternacht. Ich hatte gerade was eingeworfen, es ging mir mies, ich wollte nichts mehr hören, nichts mehr sehen, nichts mehr sagen. Nur noch staunen.
Na, gestaunt hab ich, als er’s mir erzählte. Der Job hörte sich nicht schwierig an und ich dachte, das ist schnell erledigt. Aber im Moment läuft bei mir alles anders, als ich es mir vorstelle. Das heißt, wenn ich ehrlich bin – eigentlich war das schon immer so.

Ich habe einen Job, der ziemlich viel einbringt. Ich bin gut, und ich bin gründlich. Das bringt lukrative Aufträge, seit über vierzig Jahren.
Da müsste ich eigentlich nicht mehr arbeiten, denken Sie jetzt sicher, und so war das auch, bis vor ein paar Jahren. Damals habe ich den größten Fehler meines Lebens gemacht, und ich habe große Fehler gemacht. Aber dieser stellt alle anderen in den Schatten. Nur wegen diesem Scheiß muss ich immer noch arbeiten. Und ich habe schon lange keine Lust mehr, das können Sie mir glauben.
Damals habe ich mir gesagt, dass es besser ist, wenn ich mein Geld irgendwie anlege. Also bin ich in eine Bank und habe mich beraten lassen, eine große Filiale der Deutschen Bank in Köln. Das hört sich so offiziell an, dachte ich, die müssen wissen, was sie tun.
Ich habe viel dazugelernt seitdem.
Aber die anderen hatten es nicht anders gemacht. Damals waren alle wie verrückt auf Aktien und Fonds und das ganze Zeug.
Zwei Jahre später war alles weg. Ich musste sogar mein Auto verkaufen.
Sie haben zu risikofreudig investiert, sagte mir der junge Bursche nachher. Dabei war es die Pappnase doch selber gewesen, die mir den Mist aufgeschwatzt hatte. Wäre ich damals nicht so viel unterwegs gewesen, dann hätte ich mich intensiv um diesen ›Berater‹ gekümmert. Wäre mir ein Vergnügen gewesen.
So musste ich weiter arbeiten, obwohl ich mich schon längst zur Ruhe setzen wollte. Zum Kotzen. Augen, Rücken und Beine werden ja nicht besser mit den Jahren. Ein bisschen was konnte ich zurücklegen, immerhin, aber es war nicht genug, um ganz ohne Arbeit über die Runden zu kommen. Vielleicht noch ein großer Job, dann könnte es hinhauen.
Und dann dieser Anruf mitten in der Nacht. Es war wie ein Geschenk.
Also hab ich gesagt, Gustav, du Arsch, ich mach’s, kenne dich ja lange genug. Aber nicht für billig, und danach ist Feierabend. Du weißt doch, ich bin nicht mehr so fit wie früher. Und er hat gesagt, ok, das ist der letzte Job. Endgültig.
Wir wussten beide nicht, wie recht wir hatten.

Der Typ, um den es ging, war ein wichtiger Zeuge, der von der Bullerei versteckt wurde. Klarer Fall für einen Spezialisten. Und genauso klar, dass Gustav an mich dachte.
Er vermittelt diese Jobs nur, die eigentlichen Auftraggeber sind andere. Mit Gustav bin ich meistens gut klargekommen, vielleicht mochte ich ihn sogar ein bisschen. Längst nicht so wie Kalle, klar, aber ich respektierte seine Zuverlässigkeit. Bei ihm war ein Wort ein Wort.
Wie gesagt, es war kurz vor zwölf in der Nacht. Ich hatte mal wieder Kopfschmerzen, ziemlich heftig, wollte mit keinem mehr reden. Als ich sah, dass er es war, ging ich doch dran, und dabei fiel mir das Handy hin. Ich hatte es nicht gespürt. Ich musste es mit der rechten Hand aufheben. Die linken Finger waren komplett taub.
Gustav war noch dran. Er bot mir diesen Job an, erklärte, wie viel Zeit ich hätte, dass es auf exakte Arbeit ankäme.
»Der Job ist nicht einfach. Aber er ist superwichtig. Mach keinen Fehler, Libero. Es wäre dein letzter.«
»Ich kann es nicht leiden, wenn man mir droht«, sagte ich.
»Ich bin sonst selbst erledigt«, sagte er.
Ständig bellte sein Scheiß-Dackel dazwischen. Ich war ziemlich genervt und sagte, es müssten hundertachtzig Riesen sein und sechzig vorab, drunter würde ich das nicht machen, und er meinte, das wär aber teuer und er müsste das klären und würde noch mal anrufen. Dann mach schnell, sagte ich, sonst weiß ich nicht, ob ich’s noch richtig mitkriege. Kurz darauf war er wieder dran und sagte, ok, wir sind im Geschäft.
Geht doch.
Ich weiß noch, wie ich die ganze Zeit verwundert meine linke Hand angeschaut habe. Die Finger waren immer noch gefühllos.
Das war Tag minus drei.

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