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»HUGO – Die wilden Jahre einer 
Biker- und Rennsportlegende« Wilfried Dieterichs

 

 

 

Der Vater plant eine Akademiker-Karriere, sein Sohn träumt von Tempo und Motoren

 

»Gut gebrüllt«, könnte der stolze Vater gesagt haben, als er sein erstes Kind in den Armen hält, denn dieses Leben beginnt schon in einem aufregendem Tempo – und nach dem obligatorischen »Befreiungsklaps« der Geburtshelferin mit kräftigem Geschrei. So ein Auftakt im dritten Jahr der Weimarer Republik verspricht einen Stammhalter mit Stärke, Willenskraft und Lebensmut: Hugo, Hermann Egon Schmitz kommt am 5. April 1921, vormittags gegen zehn Uhr zuhause in Duisburg-Ruhrort, Landwehrstraße 72 – 74 zur Welt, eine gutbürgerliche Gegend im rauen Umfeld von Europas größtem Binnenhafen. Dort führen seine Eltern seit dem 1. November 1919 die bisher schon beliebte »Gastwirtschaft Henrich«. Mit dem Ende des Krieges und nach »acht Jahren unter Waffen« hat der ehemalige Berufssoldat und Kürassier Hermann Schmitz das traditionelle Haus im Ruhrorter Hafenviertel gekauft und sich um die Übernahme der Schank-Konzession beworben. Etwa 1200 Meter entfernt, liegt der Werftbereich für die dort anlaufenden Schiffe. Sein Sohn Hugo wird die Anlage später noch oft aufsuchen. Der Lärm der Niethämmer, das Kreischen der Eisensägen und die sprühenden Funken beim Schweißen der Schiffsteile, das alles hinterlässt bei ihm immer wieder faszinierende Eindrücke.
Es ist ein kühler Dienstag, kaum über acht Grad, leicht windig, graue Regenwolken liegen über dem smogbelasteten »Revier«. Die »Hausgeburt« des ersten Kindes von Mathilde und Hermann Schmitz verläuft überraschend und schnell. Und so gerne er sich später auf zwei Rädern fortbewegen wird, das Laufen lernt der stets neugierige Knirps besonders früh. Ein typischer Junge des Ruhrpotts wird aus ihm werden, ein ruppiger Draufgänger, ein Macho – aber geradlinig und durchaus sensibel. Ähnlich jener fiktiven Figur Horst Schimanski, die 60 Jahre später mit Götz George als Kriminalkommissar in Duisburg-Ruhrort den Titelhelden der erfolgreichen ARD-»Tatort«-Serie verkörpert. Nur mit der vulgären Wortwahl bei verbalen Auseinandersetzungen wird der in diesem Umfeld aufwachsende Schmitz etwas zurückhaltender sein, und introvertiert ist er auch nicht. Im Gegensatz zu »Schimmi« scheut er im späteren Leben nie das Rampenlicht, doch er kann genauso stur, aufbrausend und ungeduldig werden. Die Charakterbeschreibung seines Sternzeichens Widder sagt über ihn und seine Zukunft schon sehr viel aus, denn nach den Prognosen der Astrologen wird er ein Mensch der Tat, »ein Eroberer, abenteuerlustig, siegessicher, spontan und zu großen Leistungen fähig, stets mit dem Drang im Mittelpunkt zu stehen« – aber das alles bei »geringer Anpassungsbereitschaft«.
Hugo ist in den frühen Zwanzigern kein Modename, aber dennoch weit verbreitet und germanischen Ursprungs. Abgeleitet von »hugu«, was sinngemäß – und auch zutreffend – Verstand, Seele, Geist bedeutet. Wie der kleine Schmitz zu seinem Namen gekommen ist, das bleibt unbeantwortet. Vielleicht ist Hugo Stinnes das große Vorbild, ein berühmter Großindustrieller, der aus Duisburg-Ruhrort eine der größten deutschen Binnen- und Seereedereien lenkt und zu den einflussreichsten Männern der Weimarer Republik zählt. Noch heute ist im nördlichen Rheinland der auf ihn zurückgehende Satz »das walte Hugo« verbreitet – was so viel wie »nur Gott allein entscheidet« bedeutet.
Hermann Schmitz führt das Lokal »Henrich« in der Duisburger Landwehrstraße 72/74 bis August 1921. Aber der schützenswerte Nachwuchs, das ungesunde Industrieklima, die steigende Arbeitslosigkeit mit zunehmender Verarmung in dieser Region, und der sinkende Umsatz in seinem Lokal, sind nun treibende Gründe für den schon lange geplanten Ortswechsel. Die geänderten politischen Verhältnisse tragen dazu bei, denn seit März 1921 besetzen französische und belgische Truppen das zur entmilitarisierten Zone erklärte rheinisch-westfälische Hoheitsgebiet. Die Familie zieht fünf Monate später nach Düsseldorf-Derendorf, zunächst zur Schwiegermutter in die Roßstraße 36, doch auch hier erleben sie unruhige Besatzungszeiten.

 

 

Ein unruhiges Leben in »offener Ehe«

 

Insider berichten von einer »offenen Ehe«, in der sich Hermann Schmitz, besonders viele Freiheiten nimmt. Er war sehr umtriebig, viel unterwegs, und er trank auch gerne mal einen über den Durst, heißt es in den Erinnerungen und Überlieferungen alter Derendorfer Zeitzeugen. Hugos Vater, der schon vor 1919 in der »Rheinmetropole« gemeldet ist, führt ein nachweisbar bewegtes Leben. »Der Lange«, so wird er im persönlichen Umfeld aufgrund seiner Statur genannt, pendelt immer wieder zwischen Düsseldorf und Duisburg. Getrieben von innerer Unruhe, die später auch bei seinem Sohn Hugo erkennbar wird. Mehrfach wechselt der Senior kurzfristig Wohnorte, Kauf- und Pachtverträge, das belegen die amtlichen Beurkundungen für verschiedene Lokal-Konzessionen. In Duisburg zieht es ihn immer wieder in die vertraute Umgebung von Europas größtem Binnenhafen zurück (Harmoniestraße, Fabrikstraße, Friedrichsplatz, Hammacher-Platz). Doch nur in Düsseldorf sieht er seine gastronomische Zukunft, der nördliche Innenstadtbereich Derendorf bleibt bevorzugter Standort seiner gewerblichen Tätigkeiten. Im Februar 1934, wenige Tage nach seinem 41. Geburtstag, wird der rastlose Familienvater dort endgültig bodenständig. In der Kanonierstraße 14 übernimmt er von der Hannen-Brauerei die gut eingeführte und auf Altbier spezialisierte Gaststätte »Mostert«.
Dieser Stadtteil ist zwar nicht die mondäne Heimat der Schönen und Reichen, und auch nicht die bevorzugte Adresse für Künstler und Aristokraten. Abgesehen von einigen weniger begüterten Malern, Schriftstellern, Musikern und Poeten, die sich in diesem Industrie- und Kasernenviertel wegen der günstigeren Mieten niedergelassen haben. Für die neu zugezogenen Wirtsleute ist es der ideale Ort, denn in dem vierstöckigen Gebäude gegenüber dem Frankenplatz, eine parkähnliche Ruhezone des Viertels, leben sie mit acht Familien in gutem Einvernehmen. Besonders eng sind die Beziehungen zur Familie des Schneidermeisters Emil Deucker, Wohnungsnachbarn im 1. Stock, er ist häufiger Gast im Lokal, 1940 wird Frau Schmitz die Patentante seiner Nichte Mathilde.
Derendorf ist mit seinen damals 53.376 Einwohnern ein wichtiger Produktionsstandort der rheinischen Wohlstandsmetropole Düsseldorf, vom städtischen Verkehrsamt als »Residenz der westdeutschen Industrie und Modestadt des Westens«, später auch als »Schreibtisch des Ruhrgebiets« gepriesen. In diesem bunt gemischten und traditionell vom Maschinenbau und der Waffenherstellung dominierten Stadtviertel des klassischen Bürgertums leben Arbeiter, Händler, Angestellte und Beamte in friedlicher Nachbarschaft. Hugo wächst dort mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Karl-Heinz in einem nationalkonservativ und dann nationalsozialistisch orientierten Elternhaus heran. Die Familie ist geprägt durch die Ereignisse der Nachkriegsjahre, auch sie glaubt mit Hitlers Machtergreifung an eine bessere Zukunft. Der schon bald etablierte Gastwirt Hermann Schmitz wird wie Millionen irregeleitete Deutsche bekennendes Mitglied der NSDAP, gemeldet in der Ortsgruppe Derendorf Nord. Selten sieht man ihn ohne »Bonbon«, das Parteiabzeichen steckt fast immer am Revers.

 

 

Der lange Marsch durch die wilden 20er Jahre

 

Bis dahin ist es jedoch ein hürdenreicher Weg durch krisengeplagte Zeiten, mit Höhen und Tiefen im Elternhaus. Schmitz junior erlebt seine von den Existenzproblemen des Vaters belasteten Kinder- und Jugendjahre im Umfeld des Viertels zwischen Kanonier-, Füsilier- und Frankenstraße mit dem gegenüber liegenden Frankenplatz. Ein traditioneller und beliebter Ort für Jung und Alt. »Der runde Tisch von Derendorf« heißt dieses Gelände im Volksmund, das großflächige Areal mit den schattenspendenden Kastanienbäumen ist eine der wenigen Grünanlagen der durch Staub, Ruß und undefinierbare Gerüche belasteten Industrie- und Kasernenlandschaft. Ein Ruhepol für Rentner und Pensionäre, die Informationsbörse und Gerüchteküche der Schichtarbeiter und Erwerbslosen, Treffpunkt für politische Debatten und Versammlungen. Und die Jugend lauscht, was die Alten zu sagen haben. Immer wieder geht es dabei auch um den verlorenen Krieg und um die durch Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg propagierte »Dolchstoßlegende«, die aber nur eine Dolchstoßlüge ist. Hier agitieren Rechtskonservative, Kommunisten und Sozialdemokraten, Nazis schicken immer öfter ihre Störtrupps, nicht selten kommt es dabei zu Schlägereien zwischen den verfeindeten Gruppierungen. Friedlich bleiben nur die Duelle der Schachspieler, stundenlang von interessierten Zuschauern begleitet. Die militärisch klingenden Namen der Anliegerstraßen im Bereich des Frankenplatzes erinnern an das nun von fremden Truppen besetzte nahe Garnisonsviertel mit seinen weitläufigen Kasernenkomplexen.
Es sind die harten 20er Jahre, die auch mit der späteren wirtschaftlichen Erholung noch nicht für jeden und überall die »Goldenen« sind. Hyperinflation, hohe Arbeitslosigkeit, Hunger, mangelhafte Versorgung bestimmen den Alltag, besonders seit der Jahreswende 1922/23. Die Null-Reihen auf den Banknoten werden immer länger, die Geschwindigkeit der Entwertung nimmt rasant zu. Bei der Düsseldorfer Wertpapierdruckerei Bagel werden Tag und Nacht tonnenweise immer wieder neue Ausgaben der Notwährung hergestellt, mit dem 100-Billionen-Schein ist die Rekordsumme erreicht. Wer mit abgezähltem Geld zum Kaufmann eilt, muss dort bereits das Doppelte erstatten. Auch bei Hugos Vater, zu jener Zeit noch Schankwirt in der Roßstraße, wird mit gebündelten Scheinen bezahlt, das Geld im Waschkorb hinter der Theke kann er nicht so schnell in neue Ware umsetzen, ohne dass es wieder mal entwertet ist. Im Februar 1923 kostet bei ihm ein Glas Bier 600 Mark, im Juli 1923, als sein zweiter Sohn Karl-Heinz zur Welt kommt, bereits 5500 Mark, im darauffolgenden November schließlich 52 Milliarden Mark. Für die traditionellen Soleier im Glas auf der Theke muss der Gast in diesen chaotischen Tagen bis zu 200 Milliarden Mark hinblättern. Erst am 15. November 1923 endet die Zeit des Inflationsgeldes, die Scheine mit den astronomischen Summen werden für die kommenden neun Monate durch die Rentenmark ersetzt – aus einer Billion wird eine Mark, und ab 30. August 1924 ist mit Einführung der neuen »goldgedeckten« Reichsmark endlich ein leichter wirtschaftlicher Aufschwung spürbar.

 

 

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